Ein Grund namens Gunda

Es gibt keinerlei Vorgaben, die vorschreiben, dass beim Filmcatering Fleisch serviert werden soll. Dennoch wird dieses Thema immer wieder heiß diskutiert. Ein schwergewichtiges Argument, das dagegen spricht, heißt Gunda. In seinem gleichnamigen schwarzweißen Stummfilm führt der russische Kameramann und Filmemacher Victor Kossakovsky den Zuschauern hautnah das Leben eines Schweins auf dem Bauernhof vor Augen: bildlich, berührend, bewunderswert. Als ausführender Produzent von Gunda zeichnet der überzeugte Veganer Joaquin Phoenix verantwortlich.

 

Wie haben Sie diesen Film vorbereitet?
Victor Kossakovsky: Alles stand und fiel mit unserer Hauptdarstellerin. Mitunter kann es Monate dauern, die richtigen Protagonisten zu finden. In diesem Fall war alles einfach, denn bei Gunda wusste ich sofort, dass sie die Richtige ist. Ich habe sie auf dem Bauernhof in Norwegen entdeckt, den ich als erstes besucht hatte. Gunda war das erste Schwein, dass ich dort entdeckte. Ihr Blick war so ausdrucksvoll, sie sprach förmlich mit den Augen. Als sie auf mich zu kam, sagte ich zu meiner Produzentin Anita Rehoff Larsen: Wir haben unsere Meryl Streep gefunden.

 

Wie sah der Kameraaufbau aus?
Ich habe mir ihren Stall angeschaut und genauso einen Stall mit herausnehmbaren Brettern errichtet, in dem wir Schienen verlegten, um die Kamera 360 Grad bewegen zu können. Wir waren bei den Filmaufnahmen draußen und haben die Kamera von dort aus gesteuert. Auf diese Weise haben wir Gunda nicht gestört, denn in ihrem Stall befand sich nur die Kameralinse. Sie hat wirklich sehr gut mitgespielt. Selbst bei der Geburt ihrer Ferkel konnten wir hautnah dabei sein. Sie war eine traumhafte Hauptdarstellerin.

 

Welches Equipment haben Sie dafür verwendet?
Wir haben mit einer Alexa Mini gedreht und ein Optimo Zoom 24-290mm von Angenieux gewählt. Die Alexa Mini ist für Dokumentarfilme perfekt, da sie klein und sehr schnell ist. Um Gunda nicht zu stören, haben wir nur sehr wenig Licht gesetzt, das kaum sichtbar war. Bei diesem Dreh haben wir uns sehr einfacher Mittel bedient und im Stall eine Disco-Kugel aufgehängt, die angestrahlt wurde, um die vielen dunklen Ecken zu beleuchten. Das hatte den Effekt, dass wir überall kleine Lichtpunkte erhielten. Normalerweise dreht sich eine Disco-Kugel, aber wenn sie statisch eingesetzt wird, erzeugt sie überall Licht. Das war für uns die optimale Lösung, weil wir nicht absehen konnten, wo die kleinen Ferkel hinkrabbeln. Zudem wirkte es sehr natürlich, da sich in der Decke des Stalls kleine Löcher befinden, durch die Licht nach innen fällt.

 

Gunda unterscheidet sich stark von den herkömmlichen Tierfilmen. Wie sah Ihr Ansatz dabei aus?
In den meisten Tierfilmen erklären uns Menschen etwas über die Tiere, so dass wir den Tieren nicht unsere volle Aufmerksamkeit schenken. Ich wollte die Tiere weder beschützen, vermenschlichen noch zeigen, wie sie geschlacht werden. Stattdessen habe ich mich entschlossen, die Kamera sprechen zu lassen. Das Kino kann etwas vor Augen führen, was wir normalerweise nicht entdecken und uns einen emotionalen Zugang zu einem Thema eröffnen. Ich habe mich entschieden, zu den Anfängen des Kinos zurückzukehren. Ich wollte zeigen, wie Tiere kommunizieren. Wenn Sie genau hinschauen, sehen Sie, dass Gunda mit uns spricht. Sie kommt sogar auf die Kamera zu. Es war uns schon am ersten Drehtag klar, dass sie sich für die Kamera interessieren und dort hineinschauen wird. Das wollten wir gerne erreichen und genau das ist passiert.

 

Warum haben Sie sich entschieden, in Schwarzweiß zu drehen?
Die Entscheidung, in Schwarzweiß zu filmen, habe ich zum einen getroffen, weil mich das zu den Anfängen des Kinos zurückführt. Zum anderen war es unter diesen Umständen passender, weil Farbe sehr dominierend sein kann. Wenn wir Blut in Farbe sehen, wirkt das zu realistisch und lenkt uns nur ab. Da satte Farben unsere Aufmerksamkeit auf andere Dinge lenken, wollte ich keine niedlichen rosa Ferkel zeigen – obwohl sie sehr süß waren, das können sie mir glauben. Ich wollte den Zuschauer nicht dazu verleiten, sondern habe sie in Schwarzweiß aufgenommen, damit wir sie auf eine andere Art und Weise wahrnehmen.

 

Am Ende des Films sucht die Sau nach ihren Ferkeln sucht, die plötzlich verschwunden sind. Wie oft kommt das vor?
Das geschieht zweimal im Jahr, denn die Ferkel leben in der Regel nur sechs Monate. Danach werden sie geschlachtet. Im Vergleich zu anderen Schweinen lebt Gunda in priviligierten Verhältnissen auf einem sehr gut geführten Hof. Sie lebt dort in Freiheit. Auf anderen Bauernhöfen sind die Schweine ihr ganzes Leben lang eng eingepfercht.

 

Hat die Massentierhaltung dazu geführt, dass Tiere nicht mehr als Lebewesen wahrgenommen werden?
Ich hoffe, dass den Menschen das auffällt. Wir sind sieben Milliarden Menschen auf der Erde und halten eine Milliarde Schweine in engen Käfigen. Hinzu kommen eineinhalb Milliarden Kühe, die unter horrorhaften Bedingungen leben und 50 Milliarden Hühner, die ihr ganzen Leben in Käfigen verbringen. Wir quälen und töten diese Tiere. Das muss uns bewusst werden, damit wir dem ein Ende setzen.

 

Versuchen Sie, den Menschen die Augen dafür zu öffnen?
Dokumentarfilme sind ein großartiges Mittel, um Realitäten zu zeigen, die wir nicht wahrnehmen, sehen wollen oder nicht sehen sollen, damit wir nicht darüber nachdenken. Durch meinen Film sollen die Menschen diese Tiere mit anderen Augen sehen, so dass sie realisieren, dass dies Wesen mit Gefühle sind, die über ein Bewusstsein verfügen. Für mich ist Gunda der persönlichste und zugleich wichtigste Film, den ich als Filmemacher und als Mensch gemacht habe.

 

Fotos: © Victor Kossakovsky

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