Mit seiner Autobiographie Immer auf dem Teppich bleiben präsentiert Dieter Kosslick nicht nur einen spannenden Rückblick auf die Filmbranche und seine Erfahrungen als langjähriger Filmförderungs-Chef und Festival-Direktor der Internationalen Filmfestspiele Berlin, sondern schickt den Leser auf eine interessante Reise in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Kinos. Im Interview mit Green Film Shooting spricht Dieter Kosslick über Ökologie, Essen und den gesellchaftlichen Wandel.
Wie stark ist Ihr Buch durch aktuelle Entwicklungen beeinflusst worden?
Ursprünglich sollte es eine “ganz normale” Autobiographie werden – von Cradle to Cradle, also praktisch von der Wiege bis zum Sarg. Im Laufe der Zeit hat sich das verändert, denn es war nicht einfach, die Geschichten mit den Stars, in denen bei der Berlinale hinter den Vorhang geblickt wird, mit biographischen Elementen zu verbinden. Der dritte Teil behandelt die grüne Filmproduktion, an der ein wachsendes Interesse besteht. Ich hatte bereits 2013 im Interview in Green Film Shooting dafür plädiert, die grüne Produktion in die Förderrichtlinien aufzunehmen. Nun passiert das endlich. Im neuen Filmförderungsgesetz, das 2022 in Kraft tritt, wird die Vergabe von Fördermitteln an die Einhaltung von Umweltstandards gekoppelt. Daher wird das jetzt ein wichtiges Thema, das alle beschäftigt, weil Filmfördermittel künftig nur noch vergeben werden, wenn die CO2-Emissionen reduziert werden. Bisher ist das bei den Produktionen nur auf freiwilliger Basis erfolgt. Die große Masse ist nicht mitgezogen, weil keine Verpflichtung bestand.
Was hat den Anstoß dazu gegeben, die Berlinale grüner zu gestalten?
Ich beschäftige mich schon sehr lange mit ökologischen Themen. 1981 habe ich in Hamburg als Büroleiter des Ersten Bürgermeisters Hans-Ulrich Klose seine Reden geschrieben und mit dem Satz „Ökologie ist gleich Ökonomie” für einen Sturm im Wasserglas gesorgt. Als Redakteur bei
„Konkret“ habe ich eine Rubrik mit Öko-Tipps ins Leben gerufen. Dabei ging es um Themen wie Cadmium in Kuchenrührschüsseln oder Rotwein, der durch ein Asbestsieb gesiebt wurde, um seine Brillanz zu erhöhen. Ich bin immer tiefer in diese Materie eingestiegen und zum Öko geworden, was mich mein Leben lang begleitet. Richtig aktiv habe ich das erst bei der Berlinale umgesetzt. Wir haben uns um Sponsoren bemüht, die sich ökologisch orientieren. Der Auslöser war der riesige Vorhang, den wir 2010 für die Wiederaufführung von Metropolis an das Brandenburger Tor gehängt haben. Die koreanische Künstlerin hat unsere riesigen Outdoor-Plakate recycelt und daraus diesen wunderschönen Vorhang genäht. Wir sind dem Motto „Reuse, Reduce, Recycle“ gefolgt und haben eine grüne Arbeitsgruppe gegründet. Die Pressefächer und Einwegbecher wurden abgeschafft, wir haben Ökostrom bezogen und in meinem letzten Jahr als Festival-Direktor einen roten Teppich aus recycelten Fischernetzen ausgerollt.
Wie ist Ihre Entscheidung, auf offiziellen Berlinale-Empfängen kein Fleisch mehr zu servieren, bei den Branchenvertretern angekommen?
Dafür haben wir höhnische Kritik geerntet. Das fleischlose Catering betraf nur unsere eigenen Empfänge, die mit Steuergeldern finanziert werden. Die Fleischproduktion ist die größte Bedrohung für die Artenvielfalt und für das Klima, wie der aktuelle UN-Bericht belegt. In Hollywood gibt es dafür ein großes Bewusstsein. Viele bekannte Stars von Clint Eastwood über Natalie Portman und bis hin zu Joaquin Phoenix sind Vegetarier oder Veganer und haben unsere Entscheidung sehr geschätzt.
War die Berlinale ein Vorreiter? Es gab auch beim Filmfestival in Tokio einen grünen Teppich, aber ich weiß nicht, aus welchem Material er bestand. Die Berlinale war ein großer Vorreiter in der Nachhaltigkeits-Diskussion, die wir mit unseren Mitarbeitern über die Umsetzung dieser Ziele geführt haben. Wir haben nicht nur einen wiederverwendbaren Kaffeebecher eingeführt, sondern uns an den 17 Nachhaltigkeits-Zielen der Vereinten Nationen orientiert, bei denen es auch um Themen wie Menschenwürde und Bildung geht. Dies hat sich auch im Filmprogramm der Berlinale in vielen Sektionen und Reihen wie Generations, Native oder dem Kulinarischen Kino widergespiegelt.
Was halten Sie davon, dass Ihre Nachfolger das Kulinarische Kino nicht fortsetzen?
Ich äußere mich nicht zum Festivalkonzept meiner Nachfolger. Sie müssen ihr eigenes Programm gestalten. Ich drücke ihnen die Daumen, dass Sie mit ihren Ideen Erfolg haben. Natürlich habe ich es bedauert, aber das Kulinarische Kino wird bei anderen Festivals wie in San Sebastian und beim neuen Festival in Prag fortgeführt.
Die global aufgestellten Lebensmittel- und Energiekonzerne bestimmen in vielerlei Hinsicht, wie Menschen leben. Inzwischen sind Öko-Label als Bestandteil in zahlreiche Marketing-Konzepten eingeflossen und lassen die Grenzen zwischen Grün und Green Washing verschwimmen. Wie kompliziert ist es, nachhaltiger zu leben?
Es wird eine parallele Entwicklung geben. Umweltschutz ist von Politikern und Wirtschaftsvertretern vehement abgelehnt worden, weil sie befürchteten, dass würde die Wirtschaft zerstören. Aber es ist genau umgekehrt: Die Verpestung der Umwelt ist es, die uns krank macht. Die Konservativen, die immer die Welt erhalten wollten, haben die letzten 20 Jahre nachhaltig an ihrer Zerstörung mitgewirkt. Noch immer werden Wälder abgesägt und Kohle ausgebaggert, was völlig sinnlos ist. Die Subventionen gehen zu Lasten des Steuerzahlers, dem die höchsten Strompreise in ganz Europa abverlangt werden. Aber langsam realisieren die Menschen, dass sie betrogen werden und denken darüber nach, dass etwas in der Gesellschaft nicht mehr stimmt. Die Welt hat Fieber.
Was bedeutet das für die Filmproduktion?
Die Möglichkeiten und das Know-how, Filme grün zu produzieren, sind vorhanden, wie diverse Referenzprojekte gezeigt haben. Die Stellschrauben in Bereichen wie Energie und Transport oder Catering sind bekannt. Das muss nicht mehr getestet, sondern jetzt einfach nur umgesetzt werden.
Bei großen Events wie internationalen Festivals entsteht der größte Fußabdruck durch die Anreise von tausenden von Besuchern auf der ganzen Welt. Pandemiebedingt findet alles derzeit nur digital statt, worunter Kontakte und zwischenmenschliche Begegnungen leiden. Wie sieht ein nachhaltiges Post- Pandemie-Festival aus?
Es ist die Zeit gekommen, darüber nachzudenken, denn es wird nicht mehr so weitergehen wie bisher. Es erscheint inzwischen unvorstellbar, dass sich wie bei meiner letzten Berlinale tausende von Menschen auf dem roten Teppich umarmen und küssen. Bei Premieren und auf Filmfestivals werden weiterhin Stars anwesend sein, aber vieles lässt sich sparen.
Der Filmmarkt kann online stattfinden. Es lässt sich trotzdem organisieren, dass sich Menschen treffen. Aber die riesigen Massenveranstaltungen und dieser Tross, der von einem Festival zum anderen gezogen ist, wird es nicht mehr geben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die europäischen Filmförderungen, die auch Festivals und Events unterstützen, das weiter fördern. Das Creative Europe MEDIA-Programm wird grün ausgerichtet, sonst lässt sich Ursula von der Leyens angestrebte Klimaneutralität bis 2050 nicht erreichen. Die Klimaziele sehen vor, dass die CO2-Emissionen bereits bis 2030 um 55 Prozent gesenkt werden. Die großen Filmfestivals brauchen ein neues Konzept, denn sie verlieren ihre Legitimation, wenn das Publikum dort keinen Zugang mehr hat.
Wie sieht das Kino der Zukunft aus?
Das Grüne Kinohandbuch der FFA zeigt, wie sich ein Kinobetrieb ökologisch umrüsten lässt. Die Maßnahmen reichen von der energieeffizienten Lüftungsanlage und umweltfreundlichen Energieversorgung bis hin zum Concession-Bereich, in dem gesündere Produkte angeboten werden können. Es kann nicht sein, dass Kindern im Kino stark zuckerhaltige Getränke schmackhaft gemacht werden, die zudem noch überteuert sind.
Beim Kino der Zukunft geht es auch um den Konkurrenzkampf zum Streaming. Alles, was ich in meinem Buch dazu geschrieben habe, ist eingetroffen. Die Studios werten ihre Filme pandemiebedingt per Streaming aus und werden das auch nicht aufgeben. Wenn die Kinos weiterhin Subventionen erhalten möchten, brauchen sie auch eine neue gesellschaftliche Legitimation, die ich darin sehe, dass Kinder jede Woche einmal ins Kino gehen. Die Kinokultur gehört in die schulische Bildung. Wenn wir die Kinder nicht einmal die Woche ins Kino schicken, überlassen wir sie dem kleinen Bildschirm. Die jetzige Krise ist durchzustehen, aber um für das Kino der Zukunft vorzusorgen, müssen die jungen Menschen schon von frühester Jugend an lernen, dass das Format, was sie zuhause haben, nicht das Format des Lebens und schon gar nicht das Format des Kinos ist.
Fotos: © GFS; Dirk Michael Deckbar@Berlinale 2010; Zoo Palast/Jan Bitter
Illustration: Hoffmann und Campe